«Zu viele haben im und nicht am Unternehmen gearbeitet»

Veränderungsprozesse

«Zu viele haben im und nicht am Unternehmen gearbeitet»

25. November 2022 agvs-upsa.ch – Die erste Grundvoraussetzung, um den laufenden Veränderungsprozess im Autogewerbe erfolgreich mitzugestalten, sieht Thomas Ulms darin, in seinem Kerngeschäft exzellent zu sein. Der auf das Autogewerbe spezialisierte Unternehmensberater rät Garagisten dringend, innovative Projekte anzugehen und sie zusammen mit dem Team umzusetzen.
 
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kro. Wo sehen Sie heute und mittelfristig grundsätzlich die grössten Herausforderungen für den Garagisten?
Thomas Ulms: Aus meiner Sicht besteht die größte Herausforderung für viele Garagisten darin, sich klarzumachen, dass Veränderung und Anpassung grundsätzlich notwendig sind.

Sie sehen das nicht überall für gegeben?
Nein. Aufgrund sich überlagernder positiver Ergebniseffekte, wie beispielsweise ausgebuchte Werkstätten und hohe Preise für Gebrauchtwagen, sind viele Unternehmer momentan einigermassen zufrieden mit ihren Ergebnissen und der Situation. Die Branche feiert sich deshalb gerade etwas selbst. In den vergangenen Jahren haben sich die meisten Unternehmer vorrangig mit Krisenmanagement beschäftigt. Das hat die Notwendigkeit, Veränderungsprozesse und Innovationen anzugehen, praktisch im Keim erstickt. Zu viele haben im und nicht am Unternehmen gearbeitet.

Inwiefern ist «ich habe keine Zeit, weil ich mich ums Tagesgeschäft kümmern muss» auch eine Art Entschuldigung, solche Prozesse nicht anzugehen?
Das ist tatsächlich häufig eine willkommene Ausrede. Hinzu kommt: Ich kenne eine Reihe von Unternehmern und leitenden Angestellten in Autohäusern, die der bewahrenden Generation angehören. Die hoffen, dass sie die nächsten Jahre noch durchkommen, ohne grosse Veränderungsprozesse anstossen zu müssen. Aber da draussen auf dem Markt ändert sich sehr viel in sehr kurzer Zeit. Unternehmen wie Amazon oder Tesla entwickeln sich mit einer ungeheuren Dynamik. Chinesen bauen Autos, drücken Millionen neuer Fahrzeuge in die Märkte und keiner von uns kennt die Strategie dahinter. Aber was wir wissen ist, dass sie sich dabei nicht um die etablierten Geschäftsmodelle scheren und dass sie alles auf den Kopf stellen, weil sie sich nicht an die 'Old Economy' halten, sondern völlig neu denken. So, wie Elon Musk das auch getan hat. Sie werden noch digitaler sein und noch innovativer als all das, was wir bisher kennen. Das ist die Messlatte - und nichts anderes.

Ihr erklärtes Ziel als Berater im Autogewerbe ist es, «den Handel zu stärken». Wie gefährdet ist der Handel aus Ihrer Sicht?
Der Handel ist für den Garagisten gefährdeter denn je. Dieser Prozess hat bereits vor zehn Jahren begonnen, als die Digitalisierung Einzug ins das Automobil hielt und sich die Hersteller das erste Mal zwischen den Händler und den Kunden gestellt haben. Dieser Prozess hat sich seither schleichend entwickelt und verdichtet. Das führt schliesslich dazu, dass Hersteller mittelfristig den Vertrieb übernehmen werden und sich Plattformen zwischen Garagist und Kunde schieben. Machen wir uns nichts vor: Wenn Amazon das Recht bekommen würde, in Europa mit Autos zu handeln - was glauben Sie, wie schnell deren Pläne umgesetzt würden, um morgen über ihre Plattform mit Autos zu handeln, inklusive der Vergabe von Serviceterminen, Logistik, Dienstleistungen und so weiter? Ich sehe das als hochgradige Gefährdung für den Garagisten.

Wie weit sind die denn schon?
Das Unternehmen Stellantis kooperiert seit einigen Monaten offiziell mit Amazon. Meine These dazu: Alexa wird in spätestens zwei Jahren so weit sein, dass die künstliche Intelligenz Ihnen als Kunden sagen wird: „Lieber Herr Kronenberg, ihr Auto ist jetzt sieben Jahre alt und es stehen bald Reparaturkosten von mehreren tausenden Franken an. Ich empfehle Ihnen, diese nicht zu machen, sondern bei uns gleich ein neues Auto zu beziehen. Die Abo- und Servicerate ist günstiger als Ihre bisherige Leasingrate, die Versicherung ist inklusive. Und ein passendes Geschenk für Ihre Tochter, die in den kommenden Tagen Geburtstag hat, legen wir auch noch ins Fahrzeug, damit Sie als Vater glücklich sind, wenn Sie das Auto abholen.“

Wie sehen Sie die Entwicklung im Gebrauchtwagengeschäft, das für viele Garagisten heute inzwischen wichtiger ist als der Handel mit Neuwagen, weil hier noch anständige Margen verdient werden können?
Diese Erkenntnis hat die Industrie ebenfalls gewonnen. Daher zeigen sich im Zuge der Umstellung auf das Agenturgeschäftsmodell deutliche Tendenzen verschiedener Hersteller, dass sie sich in Zukunft vermehrt um das Gebrauchtwagengeschäft kümmern werden. Konkret bedeutet das für den Garagisten, dass er weniger Fahrzeuge absetzen und damit erneut in seinem Kerngeschäft reglementiert wird.

Was gibt Ihnen diese Sicherheit?
Meine Erfahrungen und gewonnen Erkenntnisse als Geschäftsführer einer der größten Mercedes-Benz Vertreter in Europa sowie meiner ehrenamtlichen Tätigkeit als Experte für den Verband der Mercedes-Benz Vertreter in Deutschland. Im Jahr 2021 gehörte ich zudem der Verhandlungsgruppe „Vertrieb der Zukunft“ an und bin mit sämtlichen Details eng vertraut. Darüber hinaus verfolge ich die aktuellen Entwicklungen zum Thema Agenturgeschäft diverser Hersteller im europäischen Markt. Hier sind identische Entwicklungen zu beobachten.

Wir haben jetzt nur über den Handel gesprochen. Wie sehen Sie die Entwicklung im Bereich Aftersales?
Das Geschäft in der Werkstatt und mit Ersatzteilen hat die Garagisten die vergangenen 120 Jahre ergebnisseitig getragen. Das sehe ich genauso gefährdet wie den Handel, jedoch aus einem anderen Grund: der Elektromobilität. Ein vergleichbarer PKW oder Transporter bringt heute bis zu siebzig Prozent weniger Deckungsbeitrag in der Werkstatt. Das ist nur schwer zu verkraften. Hinzu kommt der deutlich geringere Verschleiss von Ersatzteilen.

Nun sagen Sie, dass Stabilität in instabilen Zeiten essenziell sei. Wie schafft man das?
Absolut zentrale Voraussetzung dafür ist das Bestreben, in seinem Kerngeschäft exzellent zu sein. Das beinhaltet auch, dass man die Prozesse im Griff hat. Nur so schafft der Garagist die Voraussetzungen, dass er überhaupt in die Zukunft investieren kann. Damit meine ich Digitalisierung, Automatisierung und nicht zuletzt den Transformationsprozess. Dazu gehört auch, dass man sich um das 'Gold' kümmert, nämlich die Daten der Kunden und die Beziehung zu ihnen. Es geht in Zukunft um mehr als Autoverkauf, Servicegeschäft, Versicherungs- und Finanzierungsprodukte, nämlich darum, im Rahmen der individuellen Möglichkeiten eine Art Ökosystem rund um das Thema Mobilität aufzubauen. Und dazu gehören auch Kollaborationsformen mit anderen Garagisten. Der Markenhändler in der Nachbarschaft ist nicht der Feind, der kommt inzwischen aus einer ganz anderen Ecke.

Was kann oder muss der Garagist jetzt tun?
Innovativ sein.

Wie geht ein Garagist Innovationen am besten an?
Indem er den Transformationsprozess erst einmal startet und seine Mitarbeitenden auf diese Reise mitnimmt. Er muss die Bereitschaft in seinem Unternehmen fördern, Innovationen zuzulassen und alte Zöpfe sofort abschneiden. Also eine Innovationskultur schaffen.

Kann grundsätzlich jeder Betrieb Innovation?
Ja, dazu gehört ausser den genannten Voraussetzungen nichts Spezifisches. Im Grunde genommen ist es alles eine Sache der inneren Haltung: Man muss Chancen erkennen, anstatt Krisen zu sehen!

Wie steigt man in einen Veränderungsprozess ein und was gilt es dabei grundsätzlich zu beachten?
Die Vorgehensweise ist sehr individuell und abhängig von den Rahmenbedingungen eines jeden Garagisten. Grundsätzlich prüft man aber erstmal den Status quo: Wo stehe ich, was ist meine Identität, was mache ich gerade und warum? Daraus leitet man dann realistische Möglichkeiten und Massnahmen ab, priorisiert sie - und bezieht sofort die Mitarbeitenden mit ein.

Welche Faktoren sind dabei grundsätzlich zu beachten, wenn man die Mitarbeiter mitnimmt auf diese Reise? Das ist eine Herausforderung für sich…
Ich nenne die Vorgehensweise einen offenen Strategie- und Kulturprozess. Auf diese Reise kann und muss der Garagist nicht alle Mitarbeitenden mitnehmen, aber eine kritische Masse, die den Durchschnitt sämtlicher involvierter Abteilungen repräsentiert. Meiner Erfahrung nach sind das mindestens zwanzig Prozent der Belegschaft, die mit im Boot sein müssen. Man muss sich auch bewusst sein: Die Einbindung der Mitarbeitenden in diesen Prozess ist zwar äusserst anstrengend, aber zwingend notwendig.

Wie macht man Mitarbeitende innovativ?
Zeigen Sie ihnen, dass Innovation keine Raketen-Wissenschaft ist, sondern dass sie jeden Tag vor der Haustür passiert. Dazu müssen Sie keinen Betriebsausflug ins Silicon Valley unternehmen. Inspirierende Beispiele gibt es häufig gleich um die Ecke. Bei uns in der Nähe gibt es zum Beispiel einen kleinen Landwirtschaftsbetrieb, der kein Problem mit seinem Milchpreis hat, weil er seine Milch ganz anders verkauft. Er hat ein nachhaltiges Produkt geschaffen, macht das über eine gute Kommunikation sichtbar, hat digitale Prozesse eingeführt und bekommt für den Liter Milch den dreifachen Preis. Der hat mit volatilen Marktpreisen kein Problem und ist nachhaltig erfolgreich.

Welcher Trend wird sich Ihrer Ansicht nach als nächstes durchsetzen?
Definitiv Shared Mobility.

Warum?
Vor einigen Jahrzehnten wurden Fahrzeuge ausschließlich gekauft, dann setzte sich Leasing mehr und mehr durch. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, dass damals die Mehrheit davon überzeugt war, dass sich dieser Trend nicht etablieren wird. Dann kamen Autovermietung, Carsharing und Abo-Modelle hinzu. Auch hier ist der Großteil der Garagisten der Meinung, dass diese Form der Mobilität weder von Dauer noch profitabel sein wird. Hier habe ich grundsätzlich andere Erfahrungen in der Praxis gemacht und kann jeden nur ermutigen, sich diesem Zukunftsmarkt zu öffnen. Andere Branchen, wie zum Beispiel die Film- und Medienindustrie haben diese Transformation bereits hinter sich, beispielsweise Netflix, Spotify und Co. Es gibt keinen Grund, anzunehmen, dass das bei Autos anders sein wird.

Doch: Privatsphäre in meinem eigenen Umfeld.
Das Statussymbol Auto und dessen alleiniger Besitz wird schon bald eine untergeordnete Rolle spielen. Neue Statuswerte werden auch das Mobilitätsverhalten verändern. Corona hat diese Entwicklung nur etwas verzögert.  Bereits heute setzen Unternehmen auf Mobilität-Budgets anstatt Dienstwagen als Mitarbeiterbindungsinstrument. Das heisst konkret: Der Mitarbeiter erhält pro Monat einen bestimmten Betrag und organisiert seine Mobilität individuell. Damit ist er flexibel und muss sich nicht um seinen Besitz kümmern, Parkplätze suchen oder gar in die Werkstatt fahren.

Auf seiner Website stellt Thomas Ulms eine Reihe von relevanten Fragen – lassen Sie sich inspirieren!

 
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