«Wir sind der Meinung, dass demnächst die Trendwende ansteht»

Restwerte

«Wir sind der Meinung, dass demnächst die Trendwende ansteht»

18. November 2022 agvs-upsa.ch – Die Preise von Gebrauchtwagen kannten in den vergangenen zwei Jahren nur eine Richtung: nach oben. Occasionsfahrzeuge erzielen teilweise bereits höhere Preise als ihr ursprünglicher Neupreis. Marktbeobachter bezeichnen den aktuellen Stand inzwischen als «Occasionsblase» und sagen eine Korrektur voraus. Ihr Grad hängt von vielen Faktoren ab – unter anderem von der Entwicklung der Nachfrage bei Neuwagen.

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Azren Rastoder, Leiter Redaktion bei Auto-i-dat (links) und René Mitteregger, Leiter Produktmanagement bei Auto-i-dat (rechts). Fotos: Auto-i-dat

Kro. Die Krise beziehungsweise der Mangel an Halbleitern, die Lieferschwierigkeiten bei den Zulieferern, die Staus in den grösseren Häfen und zuletzt noch der Konflikt in der Ukraine: Alles Faktoren, die dazu geführt haben, dass die Hersteller weniger Neuwagen produzieren respektive ausliefern konnten – und nach wie vor auch nicht signifikant mehr ausliefern können. In der Summe wurden dadurch rund 250000 Fahrzeuge weniger importiert als in den Vorjahren. «Der resultierende Nachfrageüberhang hat zur Überhitzung der Preise im Handel geführt», sagt René Mitteregger, Leiter Produktmanagement Auto-i-dat AG. Dem stimmt auch Azren Rastoder, Leiter Redaktion von Auto-i-dat AG zu. Er sagt: «Angesichts der Tatsache, dass Occasionsfahrzeuge zum Teil höhere Preise erzielen als ihr ursprünglicher Neupreis, und angesichts der Möglichkeit, dass es mittelfristig zu einer starken Korrektur kommen kann, erachten wir den Begriff ‹Occasionsblase› als angemessen.»

Herr Mitteregger und Herr Rastoder, eine Blase hat ja die Eigenschaft, dass sie platzt, wenn sie zu gross wird …
René Mitteregger: «Es ist noch sehr früh über mögliche Szenarien zu sprechen. Was sich aber nun abzeichnet ist, dass die Hersteller ihre Produktion hochfahren und Fahrzeuge ausliefern, was zu einer langsamen Abkühlung führen könnte, falls sich der Konflikt in der Ukraine und die Energiekrise nicht weiter zuspitzt und so einen negativen Einfluss auf die Produktion beim Hersteller hat. Ein mögliches Szenario, dass diese ‹Blase› zum Platzen bringen könnte, wäre, wenn die Hersteller zwar produzieren und auch ausliefern können, die Kauflust beziehungsweise die Nachfrage für Neuwagen aber stark sinkt. Dieses Szenario würde dazu führen, dass die Preise für Neuwagen sinken oder hohe Rabatte gewährt werden müssten, um den Verkauf anzukurbeln. Dies hätte zur Folge, dass die hohen, überhitzten Preise der Occasionen erodieren.»

Azren Rastoder: «Wir gehen aktuell von einem ‹optimistischen Szenario› aus und rechnen mit einer geordneten Entspannung des Fahrzeugmarktes in den nächsten zwei bis drei Jahren. In diesem Zug dürften auch die Occasionspreise und Restwerte wieder auf Niveaus sinken, die der üblichen Abschreibung eines Fahrzeugs entsprechen».
 
 
«Wir glauben an eine ‹sanfte Landung› der Occasionspreise.»
René Mitteregger,Leiter Produktmanagement bei Auto-i-dat
 

Was sind die Erwartungen, die dieser Annahme zugrunde liegen?
Azren Rastoder: «Wir gehen davon aus, dass die Hersteller ihre Produktion weiter hochfahren können. Sobald dies geschieht, werden auch die Preise für Neuwagen tendenziell sinken, nur schon aufgrund der sinkenden Kosten für die Produktion, die sich ab gewissen Stückzahlen zur Deckung der Fixkosten auch wieder nach unten bewegt. Tiefere Neupreise haben somit einen direkten Einfluss auf den Restwert eines Fahrzeuges, da der Neupreis die Basis für die Berechnung des Restwertes liefert. Auch steigende Rabatte können dazu führen, dass die Restwerte sinken, kurzfristig ist aber nicht zu erwarten, dass dies einen sehr grossen negativen Einfluss auf die Restwerte haben wird.»

René Mitteregger: «Wir glauben in diesem Zusammenhang insbesondere auch an eine ‹sanfte Landung› der Occasionspreise. Einerseits, weil Konjunkturexperten für die Schweiz gegenwärtig nicht mit einer Rezession, sondern ‹nur› mit einer wirtschaftlichen Abkühlung rechnen. Andererseits, weil schlicht 250000 Fahrzeuge im Markt fehlen. Dieser Nachfrageüberhang wird nicht einfach verschwinden. Auch wenn wieder mehr Neufahrzeuge geliefert werden, kommen von den letzten Jahren weniger ‹junge Occasionen› auf den Markt als dies in den früheren Jahren jeweils der Fall war. Insofern entsteht im Occasionsmarkt wohl kein grosser Angebotsüberhang, und wir erwarten eine geordnete Normalisierung der Preise.»
 
 
«Wir gehen von einem optimistischen Szenario aus.»
Azren Rastoder,Leiter Redaktion bei Auto-i-dat
 

Bleibt die Frage, was Flottenverantwortliche heute tun können, um keine Fahrzeuge mit hohen Restwerten zu leasen. Das Team um René Mitteregger und Azren Rastoder empfiehlt «eine konservative Herangehensweise». Man dürfe die heutige Situation auf dem Markt nicht auf die Situation in drei bis vier Jahren projizieren, weil «diese wird mit Sicherheit eine andere sein». Deshalb empfiehlt das Team eine gestaffelte Erneuerung der Flotten, damit auch die Entwicklung in den nächsten Monaten in die Beurteilung für die Restwertprognose einfliessen kann.

Obwohl der Markt in den letzten Jahren grossen Ausschlägen ausgesetzt war, hat Auto-i-dat stets an seiner Politik festgehalten, Restwerte über längere Zeit in kleinen Schritten anzupassen. «In der Vergangenheit hat sich diese konservative Herangehensweise bei der Setzung der Restwerte mehrfach bewährt und den Handel und die Importeure vor grösseren Schäden bewahrt. Dies, weil ein schrittweises Vorgehen den Marktakteuren erlaubt, sich auf eine neue Situation einzustellen und das Risko einer Fehleinschätzung zu verringern», stellt René Mitteregger fest. Er illustriert das am Beispiel der «Dieselkrise». Innerhalb der Branche hätten viele den Diesel bereits abgeschrieben, «heute zeigt sich aber, dass unsere Einschätzung richtig war und die geforderten hohen Senkungen der Restwerte unbegründet waren.» In solchen Situationen heisse das oft auch, «Ruhe zu bewahren und die Situation über einen gewissen Zeitraum zu beobachten, um das wahrscheinlichste Szenario aufzeigen zu können.» Im Bezug auf die heutige Situation fasst Azren Rastoder zusammen: «Nachdem wir in den letzten eineinhalb Jahre die Restwerte in kleineren Schritten aufgewertet haben, sind wir der Meinung, dass demnächst die Trendwende ansteht.»
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